F&B-KARTE GW-UNTERRICHT Nr. 74 / 1999

Das obere Montafon

Dr. Wolfgang Sitte


1. Zur Wanderkarte

Der Kartenausschnitt in diesem Heft von GW-UNTERRICHT stammt aus der freytag&berndt Wanderkarte 1:50 000 Silvretta Hochalpenstraße – Piz Buin (WK 373). Abbildung 1 zeigt das gesamte Gebiet, welches auf diesem rd. 57 cm (Höhe) x 82 cm (Breite) großen Blatt der WK 373 dargestellt wird. Es umfasst den überwiegenden Teil der südlich des Arlberges liegenden Verwallgruppe, den Hauptteil der Silvretta, den östlichen Zipfel des Rätikons sowie den westlichsten Abschnitt der Samnaungruppe. Auch die beiden in diesen eindrucksvollen Hochgebirgsbereich aus Tirol (Paznaun) und Vorarlberg (Montafon) hineinführenden Täler sind auf dem Blatt 373 der Wanderkarte fast zur Gänze zu sehen. Sie bildet somit eine ideale Begleiterin für Wanderungen in diesem Gebiet. Die Äquidistanz ihrer braunen (auf den Gletschern blauen) Höhenlinien beträgt 100 Meter. Auf der Karte ist eine Legende; die Signaturen werden auch in Englisch und Französisch erklärt.

2. Die „Außer- und Innerfratte"

Das nicht ganz 40 Kilometer lange Montafon (Politischer Bezirk Bludenz) liegt am Oberlauf der aus der zentralen Silvretta um den Piz Buin (3312 m) kommenden Ill (keltisch „il" = eilen) und ist die südlichste Talschaft Vorarlbergs. Der Name ist rätoromanischen Ursprungs und setzt sich zusammen aus „munt" bzw. „mont" = Berg und „tavon" = Tobel. Als Tobel bezeichnet man im Gebirge einen verhältnismäßig kleinen, steilen und engen Graben mit wildbachartigem, jedoch meist nur periodisch oder episodisch fließendem Wasser. Muren bzw. Lawinen benutzen ihn sehr häufig als Leitbahn für ihre Abgänge. An der Einmündung eines Tobels in ein Tal ist gewöhnlich ein Schwemmkegel abgelagert.

Solche Schwemmkegel und die nahe an die Ill herantretenden Talhänge bilden zwischen Schruns und St. Gallenkirch, bei der so genannten Fratte, eine deutliche Engtalstrecke. Sie teilt das Montafon in die „Außerfratte" (Lorüns bis Schruns) und die „Innerfratte" (St. Gallenkirch bis Partenen). Die „Innerfratte" ist auf dem Kartenausschnitt in diesem Heft abgebildet. In ihr liegen die Gemeinden St. Gallenkirch mit den Siedlungen Gargellen und Gortipohl sowie Gaschurn mit Partenen. Gaschurn hat 177 km2 und ist damit die flächengrößte Gemeinde Vorarlbergs. St. Gallenkirch umfasst 127 km2.

3. Zur Besiedlung

Wahrscheinlich benutzten schon vor Christi Geburt kelto-illyrische Hirten und Viehzüchter zumindest die hochgelegenen Weiden im Bereich des Montafons. 15 v. Chr. eroberten die Römer Rätien und errichteten hier die gleichnamige Provinz. Während der vier Jahrhunderte ihrer Besatzungszeit kam es zu einer Vermischung der Nachkommen der Römer und der bodenständigen Bevölkerung. Es entwickelte sich das Rätoromanische, eine Weiterbildung des Vulgärlateins, das infolge der relativen Abgeschlossenheit des Tales noch bis in das 17. Jahrhundert im Montafon gesprochen wurde. In vielen Berg-, Gewässer- und Ortsbezeichnungen (auf dem Kartenausschnitt u.a. Madrisa, Madrisella, Tafamunt, Gampaping, Valzifenz, Vergalda, Sarotla, Lifinar, Valisera, Vermunt) lebt heute noch das Rätoromanische fort. Auffallend ist ihre Häufung im Gargellental, aus dem über das Schlappiner Joch (2203 m) ein uralter und bis ins 19. Jahrhundert viel benutzter Übergang in den Prätigau (Schweiz) verläuft.

Später kamen die Alemannen nach Vorarlberg, die aber erst im 10. Jahrhundert von Bludenz aus in das Montafon vorstießen. Ihre Dörfer entstanden hier in Tallagen auf den Schwemmkegeln, wobei zumeist die sonnigere orografisch rechte Seite bevorzugt wurde. In St. Gallenkirch am Beginn der „Innerfratte" stand bereits im 11. Jahrhundert eine Kirche. 1305 wird diese Siedlung in einer Urkunde „Sant Galli in Vallile" genannt. Die heute zur Gemeinde St. Gallenkirch gehörende Ortschaft Gortipohl war damals wegen ihrer reichen Erzvorkommen bekannt. Auch oberhalb von Partenen wurde zeitweise Erz geschürft, wie die Bezeichnung „Trominier" = „Weg der Miniere" andeutet.

Zu Beginn des 14. Jahrhunderts zogen die aus dem Gebiet der heutigen Schweiz abgewanderten freien Walser (Walliser) in das Montafon. Weil dort die guten Plätze längst besetzt waren, ließen sie sich nach Roden des Waldes gewöhnlich in Streusiedlungen in den höher gelegenen Teilen des Tales nieder. Ihre kulturelle Leistung bestand in der Einführung einer ausgedehnten Grünland-(Heu-)wirtschaft. Damit schufen sie die Grundlage für eine effektive und nachhaltige Viehzucht, welche für Jahrhunderte die wichtigste Erwerbsquelle des Montafon wurde. Montafoner Braunvieh erlangte bald überregionale Bedeutung. Käufer aus ganz Europa kamen noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf die alljährlich im Vermunttal (und noch länger in Schruns) abgehaltenen großen Viehmärkte.

Mit der Einwanderung der Alemannen und der Walser gewann allmählich das deutsche Element im rätoromanischen Montafon die Oberhand. 1394 erwarben die Habsburger im Rahmen der Politik, ihre innerösterreichischen Besitzungen mit den vorderösterreichischen zu verbinden, Bludenz und damit auch die Herrschaft über das Montafon, in dem bereits vorher von der Leibeigenschaft befreite Bauern lebten. Seither ist das Tal mit Ausnahme einer kurzen bayrischen Periode während der napoleonischen Zeit bei Österreich.

4. Maisässen

Entsprechend der Geländeformen und der ökologischen Verhältnisse war und ist Ackerbau in dem Hochgebirgstal nur sehr beschränkt möglich. Die überwiegende Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in der „Innerfratte" ist auf Alpung angewiesen, in der Gemeinde St. Gallenkirch 84 von insgesamt 94, in der Gemeinde Gaschurn 78 von insgesamt 94. So erklärt sich auch, dass man an vielen Stellen des Kartenausschnittes zwischen rund 1200 und 1600 m Seehöhe, noch in der potenziellen Waldzone, die mit einem Namen verbundene Bezeichnung „Maisäß" findet. Dabei handelt es sich um eine beim Staffelbetrieb (er passt sich dem Auf- und Absteigen der Vegetationsperiode im Gebirge an) periodisch genutzte Siedlung auf dem Weg zwischen Talhof und Alphütte. Sie wird in anderen Teilen der Alpen „Aste" oder auch „Vorsässe" genannt. Ende Mai, wenn die Felder im Tal bestellt sind, zog der Großteil der Familie mit dem Vieh zur Maisäß hinauf, verbrachte dort einige Wochen in den wohnlich eingerichteten Hütten, ehe etwa ab Mitte Juni über die Sommermonate die höher gelegenen Alpen (Almen), wo Hirten und Sennen die Arbeit besorgten, bezogen wurden. In dieser Zeit wächst auf der jetzt viehfreien Maisäß das Gras wieder für eine Mahd im August nach. Von Ende September bis in den späten Oktober hinein kam das Vieh dann wieder zur Weide auf die Maisäß, ehe es bei Wintereinbruch endgültig ins Tal zurückkehrte. Diese für das Montafon traditionelle und arbeitsintensive Wirtschaftsweise, die sich an die ökologischen Verhältnisse des Gebirges anpasste, ist heute jedoch dem Druck des ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturwandels ausgesetzt und in starker Veränderung. Auslöser waren sowohl der Rückgang der Alpwirtschaft als auch die Verkehrserschließung der Höhen. Einerseits nimmt die Maisäß heute daher immer mehr die Funktion von Bergmähdern an. Andererseits baut die einheimische Bevölkerung die Gebäude der Maisäß vielfach zu Ferienhäusern für den Tourismus um. So wie in ganz Vorarlberg ging auch im Montafon die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe zurück: In St. Gallenkirch zählte man 1974 noch 132, im Jahr 1990 aber nur mehr 94 Betriebe. 14 davon lagen laut Berghöfekataster in der Erschwerniszone IV, 65 in der Zone III und bloß 15 in der Zone II.

5. „Das Tal Montafon ist eines der ärmsten in Vorarlberg."

Diesen Satz schrieb Johann Nepomuk Ritter von Ebner, Kreishauptmann von Vorarlberg, der das Tal in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereiste. Der Bergbau war längst zu Ende, und außer einer kargen Landwirtschaft gab es dort nichts. Diese blieb bis in das 20. Jahrhundert hinein jedoch die dominierende Erwerbsquelle des Montafons. Wegen der überaus starken Besitzzersplitterung infolge der Realteilung (die gesamte Nutzfläche eines Betriebes wird unter allen Erbberechtigten aufgeteilt) existierten auch früher nur wenige landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe, sodass die Bergbauernwirtschaft nicht im Stande war, den Talbewohnern ein auskömmliches Leben zu sichern. Der größte Teil der Bevölkerung war deshalb auf eine Nebenbeschäftigung auswärts angewiesen. Als Maurer, Stuckateure, Zimmerleute, Sensenhändler, Krautschneider und Hausierer zogen die Montafoner Männer durch halb Europa. Viele junge Frauen arbeiteten als Spinnerinnen und Ährenleserinnen in Süddeutschland. Auch zahlreiche Sieben- bis Vierzehnjährige verließen jedes Jahr um Josefi (19. März) das Tal, um in das reiche Schwaben zu ziehen und dort als Hüterbuben oder Kindermädchen für Ernährung, Bekleidung und einen kleinen Lohn zu arbeiten. Um Martini (11. November) kamen sie wieder heim. Bis in das 20. Jahrhundert wurden solche „Schwabenkinderzüge" aus Vorarlberg (und dem westlichen Tirol) organisiert. Sie entlasteten zwar etwas die wirtschaftliche Not im Tal, entfachten vielfach aber auch unmenschliches Kinderleid.

6. Die Illwerke als Initiator einen neuen Entwicklung

Der Kartenausschnitt zeigt zahlreiche technische Objekte, die wie ein Spinnennetz das Gebiet überziehen und auf die Nutzung der Wasserkraft zur Elektrizitätserzeugung hinweisen: Stauseen, Druckstollen, Kraftwerke, Ausgleichsbecken, Überleitungsstollen, Bachableitungen. Sie gehören alle zu den Vorarlberger Illwerken, einer Kraftwerksgruppe, die insgesamt etwa 2,2 Milliarden kWh Spitzenstrom im Jahr liefert.

Die Illwerke AG wurden 1924 gegründet und setzte sich von Anfang an das Ziel, das Gesamtgefälle der Ill von der Quelle (ca. in 2 500 m Meereshöhe) im vergletscherten Gebiet um den Piz Buin (3312 m) bis zur Mündung in den Rhein (etwa 420 m Meereshöhe) für die Gewinnung elektrischer Energie zu nutzen. Da Vorarlberg damals nicht im Stande gewesen wäre, den Ausbau allein zu finanzieren, dachte man von vornherein an eine Gesellschaft, an der sich auch die Nachbarländer beteiligen sollten. Daraus wurde dann eine Zusammenarbeit mit Süddeutschland und dem Rhein- und Ruhrgebiet. Dabei kam es zum überregionalen Energieaustausch zwischen Speicher-(Spitzen)-, Fluss- und kalorischen Kraftwerken.

Vom außerhalb des Kartenausschnitts befindlichen, 1943 errichteten Silvrettaspeicher (für die Touristen trägt er heute den Namen Silvrettasee) auf der Bielerhöhe in 2034 m Meereshöheführen Rohre zum Krafthaus Obervermunt (1753 m) am Südende des bereits 1930 angelegten Vermuntspeichers. Aus ihm gelangt das Wasser dann zum Krafthaus Vermunt (1030 m) am Rande von Partenen. Auf der gegenüberliegenden Talseite ist das Krafthaus Kops zum Schutz vor Lawinen (man vergleiche die beiden Talhänge) und auch aus Platzgründen als Kavernenkraftwerk tief in den Berg hineingebaut worden. Es bezieht sein Wasser vom 1967 fertig gestellten Speicher Kops (1850 m) im Bereich des Zeinisjoches, über welches die Grenze zwischen Vorarlberg und Tirol verläuft. Der Speicher Kops, zu dem eine Stichstraße aus Galtür hinaufführt, erhält durch Überleitungsstollen Wasser aus Tirol und ist auch mit dem Vermuntspeicher verbunden, was für den Pumpbetrieb wichtig ist. Das Betriebswasser der beiden Kraftwerke in Partenen wird über ein Ausgleichsbecken in einen Hangstollen talauswärts nach Latschau bei Tschagguns geleitet oder im Rifabecken zwischengelagert. Da dieses circa 30 m tiefer liegt als das Ausgleichsbecken des Vermuntwerkes in Partenen, wurde dort noch ein kleines Kraftwerk installiert.

Die Anlagen der Illwerke, vor allem die Speicherseen, haben das Landschaftsbild verändert. Bedeutender aber war die Nachfolgewirkung der zu ihrer Errichtung notwendigen Verkehrsbauten. Hier ist, neben verschiedenen Stichstraßen, in erster Linie die 1954 für den öffentlichen Verkehr freigegebene Silvretta-Hochalpenstraße zu nennen. Die über 22 Kilometer lange Straße führt von Partenen (1051 m) in zahlreichen Kehren, direkt am Vermunt- und Silvrettaspeicher vorbei, über die Bielerhöhe (2036 m) nach Galtür (Mautstelle in 1660 m). Die später verbreiterte Silvretta-Hochalpenstraße dient heute weniger als Durchgangsstrecke vom Montafon ins Paznauntal und damit von Vorarlberg nach Tirol, sondern in erster Linie als Touristenstraße.

7. Zur Entwicklung des Tourismus

Die ersten bescheidenen Ansätze setzten in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen des Alpinismus ein. Im sehr lange nur über einen schlechten Fahrweg erreichbaren Gargellen (ursprünglich eine Maisäß) war um 1885 der Gasthof Madrisa die Keimzelle des Tourismus. Meyers Reisebuch „Deutsche Alpen" von 1913 bezeichnet Gargellen bereits als hübsch gelegene Sommerfrische und vergleicht das Klima dieses Hochtals mit dem von Davos. Aus dem Gasthof war ein Kurhotel geworden, das damals schon über 70 Zimmer verfügte. Auch in Gaschurn und St. Gallenkirch stellten sich einige Gastwirte auf den „Fremdenverkehr" ein. Im Jahr 1885 wurde in Gaschurn auf Anregung der Wirtin des Gasthofes „Rössle" der erste Verschönerungsverein im Montafon gegründet. Zu seinen Aufgaben zählten Maßnahmen, die zur Hebung der Behaglichkeit von Einheimischen und Fremden beitragen.

Die meisten Gäste kamen aus Süddeutschland. 1872 wird die Bahn von Lindau nach Bludenz eröffnet, die Vorarlberg an das Eisenbahnnetz anschloss, 1884 die Arlbergbahn und 1905 schließlich als Normalspur mit elektrischem Betrieb die Montafonbahn von Bludenz nach Schruns. Ihre Fortsetzung nach Partenen scheiterte in den Zwanzigerjahren am Einspruch der Signatarmächte des Friedensvertrages von Saint Germain. Seit 1923 gibt es einen zuerst privaten, dann öffentlichen Kraftwagen-Linienverkehr im Tal.

In der Zwischenkriegszeit kamen auch die ersten Wintergäste in größerer Anzahl ins Tal. Die Übernachtungen im Montafon begannen langsam anzusteigen. Unterbrochen wurde diese Entwicklung nur von den Zäsuren der Weltwirtschaftskrise und der 1000 Reichsmark-Sperre. Ihren Höhepunkt vor dem Zweiten Weltkrieg erreichten die Übernachtungen im Montafon 1939/40, nicht zuletzt durch die organisierten „Kraft-durch-Freude"- Reisen.

Übernachtungen Schruns St. Gallenkirch Gaschurn
Sommer 1939 73 909 23 203 38 380
Winter 1939/40 4 988 10 212 2 793

Quelle: Vorarlberger Wirtschafts- und Sozialstatistik (Amt der Landesregierung, Abt. Landesstatistik)

Nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem nach der Währungsreform in Deutschland im Jahre 1948 begannen die Übernachtungen wieder allmählich anzusteigen. St. Gallenkirch zählte im Sommer 1968 bereits 115 505, Gaschurn 65 194, das ganze Montafon über 665 000. Die Wintersaison war damals noch wesentlich schwächer: 1967/68 wies die Gemeinde St. Gallenkirch 69 432 Nächtigungen auf, Gaschurn 40 425, das gesamte Tal 289 795. Das sollte sich jedoch ändern. Zehn Jahre später war die Anzahl der Übernachtungen im gesamten Montafon auf insgesamt 1,8 Millionen gestiegen und der Anteil der Wintersaison daran, in der den Gästen 52 Seilbahnanlagen mit einer Transportkapazität von 12,8 Millionen Personenhöhenmetern pro Stunde zur Verfügung standen, erreichte bereits knapp die Hälfte der Jahresübernachtungen. Der Wintertourismus wurde für das Tal zum treibenden Wirtschaftsmotor. Verschiedene Interessentengruppen gingen jetzt daran, Ausbauprojekte in großem Umfang zu entwickeln.

8. Die Raumplanung greift ein

Die von verschiedenen Gruppen vorgeschlagenen Projekte sahen vor allem eine Vervielfachung der Transportkapazität vor. Die sich daraus ergebenden problematischen Konsequenzen für das Landschaftsbild, den Zubringerverkehr, die Beherbergungs- und Siedlungsausweitung, die Deckung der Arbeitskräftenachfrage mit Talfremden etc. veranlassten die Landesregierung, das Österreichische Institut für Raumplanung mit einer „Untersuchung raumbezogener Probleme der Fremdenverkehrsentwicklung im Montafon" zu beauftragen. Auf ihrer Grundlage wurde 1980 dann ein „Konzept für den Ausbau der touristischen Aufstiegshilfen" beschlossen. Es enthält nur mehr ca. ein Drittel der noch 1978 diskutierten Erschließungen, wobei sich der Ausbau (60 % des Zuwachses) auf das Skigebiet Silvretta Nova konzentriert.

Dort wurden im Dezember 1981 die beiden Valiserabahnen eröffnet, die von Galgenuel in 818 m Meereshöhe über Brand auf 2001 m hinauf führen, fünf Jahre später die beiden Versettlabahnen, die Skifahrer von Gaschurn (978 m) über Rehsee (1483 m) zur Versettla in 2014 m Meereshöhe bringen. Durch den Zusammenschluss entstand hier das größte Skigebiet des Montafon, das insgesamt über 28 Liftanlagen und 100 km Pisten verfügt. Im Winterbetrieb 1995/96 beförderten die beiden Valiserabahnen insgesamt 1,7 Millionen Fahrgäste, die beiden Versettlabahnen 1,4 Millionen. Die aus dem Bereich der Alpe Nova (1682 m) zum Schwarzköpfle (2220 m) hinauf führende Sechsersesselbahn transportierte 1,3 Millionen Touristen. Die Förderleistungen der genannten Bahnen beträgt jeweils zwischen 2 200 und 3 000 Personen pro Stunde.

Übernachtungen St. Gallenkirch Gaschurn
  gesamt davon Ausländer gesamt davon Ausländer
Winter 1996/97 328 350 321 580 258 115 248 928
Sommer 1997 147 297 138 929 114 420 106 525

Quelle: ÖSTAT

9. Die Bevölkerungsentwicklung

Das Diagramm, welches die Entwicklung der Bevölkerung von St.Gallenkirch und Gaschurn nach den Ergebnissen der Volkszählungen zeigt, spiegelt auch die wirtschaftliche Entwicklung der beiden Gemeinden grob wider. Das in einer beckenartigen Erweiterung des Tales auf dem großen Schwemmkegel des Zamangtobels (Tramosabach) liegende St. Gallenkirch war immer die Hauptsiedlung der „Innerfratte". Im Jahr 1819 hatte sie noch 1474 Einwohner. Dann folgte jedoch eine Phase der Abwanderung, verursacht durch die Möglichkeit, in der im Rheintal und im Walgau jetzt aufkommenden Industrie Arbeit zu finden.

Die gleiche Entwicklung sehen wir in Gaschurn, das im Jahr 1819 noch 1115 Einwohner hatte. Während sich in dieser Gemeinde der Bevölkerungsrückgang noch bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg fortsetzte, machen sich in der Gemeinde St. Gallenkirch, vor durch die Entwicklung Gargellens zum Höhenluftkurort bedingt, schon nach 1900 die Auswirkungen des Tourismus bemerkbar. In der Gemeinde Gaschurn tritt erst mit dem Einsetzen der Arbeiten an den Illwerken, die in Partenen eine Siedlung für ihre Beschäftigten errichteten, die deutliche Zunahme der Bevölkerung ein. Die Bauzeit des Vermuntwerkes und Vermuntspeichers dauerte von 1925 bis 1931, die Arbeiten am Obervermuntwerk und Silvrettaspeicher von 1938 bis 1948; Kopswerk und Speicher Kops wurden von 1961 bis 1969 errichtet. Beide Gemeinden haben auch heute noch immer einen relativ hohen Geburtenüberschuss.

10. Entwicklung der Häuseranzahl

Die Auswirkungen des Tourismus und des Kraftwerksbaus sind nicht nur in der Bevölkerungsentwicklung sichtbar, sondern zeigen sich auch in der Zunahme der Gebäude der beiden Gemeinden. Rund 50 Prozent aller ihrer heutigen Gebäude wurden nach 1961 errichtet.

Häuser 1819 1964 1991
St. Gallenkirch 381 613 836
Gaschurn 272 476 529

Quelle: Welti und ÖSTAT

Die Siedlungsverdichtung im Tal bringt vielfältige Probleme. Während die zahlreichen Schutzbauten vor Lawinen und Muren auf der Karte nicht eingetragen sind, kann man aus den Umfahrungen der Ortskerne von Gaschurn und Partenen Ansätze zur Verbesserung der Verkehrssituation erkennen. Diese ist aber besonders an Spitzentagen des Winters und Sommers, wenn viele Tagesbesucher zusätzlich in das Tal kommen, kritisch. Daher tauchten vor einigen Jahren Überlegungen zu einer Verlängerung der Montafonbahn von Schruns bis zur Talstation der Valiseraseilbahn am Eingang des Gargellen Tales auf.

11. Beschäftigte nach Wirtschaftsabteilungen St. Gallenkirch - Gaschurn

  St. Gallenkirch Gaschurn
Land- und Forstwirtschaft 4,1 % 2,7 %
Gewerbe, Industrie, Bauwesen 33,8 % 32,9 %
Dienstleistungen
davon im Beherbergungs- und Gaststättenwesen
62,1 %
22,3 %
64,4 %
25.8 %

Quelle: ÖSTAT 97

12. Gemeindesteuereinnahmen 1996 aus Abgaben und Steuern sowie steuerähnlichen Einnahmen (In ATS):

  St. Gallenkirch Gaschurn
Gesamteinnahmen
davon sind:

Getränkesteuer
Gästetaxe
Fremdenverkehrsbeiträge
Lohnsummensteuer
39 295 000


8 469 677
4 676 000
2 934 000
6 144 000
35 295 000


4 445 000
3 939 000
3 463 000
6 950 000

(Quelle: Amt der Vorarlberger Landesregierung, Landesstelle für Statistik)

13. Einige didaktische Bemerkungen

Die folgenden Vorschläge zeigen einige Möglichkeiten, verschiedene der im Vorausgegangenen Beitrag angeschnittene Thematiken in den Unterricht einzubringen.

Das Montafon als ein Beispiel für den sozio-ökonomischen Wandel eines Alpentales unter dem Einfluss der Elektrizitätswirtschaft und des Tourismus. Für die Arbeit im Klassenzimmer wären dazu vor allem noch Bilder und Tourismusprospekte erforderlich. Sie sind zu erhalten über Montafon Tourismus (Schruns) Fax: 5556/74856 bzw. http://www.montafon-tourism.at oder über Gaschurn Tourismus Fax: 5558/8138 bzw. http://tiscover.com/gaschurn oder über St. Gallenkirch Tourismus Fax: 5557/6659 bzw. http://www.tiscover.com/st.gallenkirch.

Man könnte auch bloß einzelne Thematiken herausgreifen, so z.B. diejenige der „Schwabenkinder" und sie mit der Situation der heutigen Kinder in touristisch intensiv genutzten Alpentälern vergleichen; oder wie der Tourismus die traditionelle Volkskultur zum Folklorespektakel transformiert; oder etwa am Beispiel von Gargellen (siehe Schrifttumsverzeichnis) der Frage nachgehen, „Wie sicher sind hochgelegene Wintersportorte?".

Einfache Kartenleseübungen, wobei Schüler und Schülerinnen Objekte auf Bildern bzw. auf dem Panoramabild eines Tourismusprospektes auf der Karte suchen und lokalisieren.

Mit textlicher Hilfe bzw. sonstiger Ergänzung die Karte geografisch auswerten. Allerdings – das muss gesagt werden – bietet die Österreichische Karte 1:50 000 des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen detailliertere Informationen als die f&b-Karte. Für das auf dieser dargestellte Gebiet benötigt man von der ÖK, weil ihre Blätter Gradabteilungskarten sind und nur Sonderzusammenstellungen dieser als Gebietskarten aufgelegt werden, jedoch mehrere Blätter (142, 169, 170). Die Interpretation (darunter versteht man mehr als nur Kartenlesen) großmaßstäbiger topografischer Karte sollte im Unterricht nicht vernachlässigt werden. Sie vertieft sowohl die geografischen Grund- und Regionalkenntnisse, wirft immer wieder Fragen auf und schult durch das Bemühen, vielfältige Beziehungen und Zusammenhänge zwischen physischen und humanen Erscheinungen aufzudecken und zu erklären, das vernetzte Denken. Freilich wird man auch dabei zusätzliche Informationen heranziehen müssen. Sehr nützlich ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die von GEOSPACE produzierte CD-ROM „Österreich aus dem All", die für Österreich flächendeckend informative Satellitenbilder enthält und dazu noch für bestimmte Gebiete 3D-Geländemodelle (Verlag Herold, Mödling, 1998).

Last but not least bietet sich das Montafon, und hier besonders die „Innerfratte", ideal für eine Projektwoche an. Fächerübergreifend und konkret vor Ort könnte dabei beispielsweise untersucht und bewertet werden, wie der Tourismus die Lebenswelt und die Lebensweise der Menschen in den letzten 100 Jahren verändert und welcher Wertewandel sich dabei vollzogen hat. Gleichzeitig würden die Schüler und Schülerinnen einen besonders schönen und interessanten Teil Österreichs kennen lernen.

14. Schrifttumshinweise


Zusammengestellt von Wolfgang Sitte
Für das Internet aufbereitet von
Wolfgang Dehmer
Letzte Aktualisierung: 22.12.1999