Österreichische Lehrpläne

Geographie und Wirtschaftskunde

Lehrplanentwurf '99
für die Hauptschulen und
die Allgemeinbildenden höheren Schulen


Bildungs- und Lehraufgabe
Didaktische Grundsätze
Lehrstoff


Bildungs- und Lehraufgabe

Im Mittelpunkt von Geographie und Wirtschaftskunde steht der Mensch. Seine Aktivitäten und Entscheidungen in allen Lebensbereichen haben immer auch raumstrukturelle Grundlagen und Auswirkungen. Diese räumlichen Aspekte menschlichen Handelns sind Gegenstand des Unterrichts. Besonders thematisiert werden solche Vernetzungen am Beispiel der Wirtschaft, deren allgemeine Grundlagen zu erarbeiten sind. So bieten sich vielfältige Ansätze fächerverbindenden Arbeitens an. Neben der bewussten Wahrnehmung wird die Beschreibung sowie die Erklärung von Sachverhalten, Zusammenhängen und Entwicklungen des menschlichen Handelns angestrebt. Geographie und Wirtschaftskunde sollen Schülerinnen und Schülern helfen, im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich verantwortungsbewusst und tolerant zu handeln.

Im Geographie-und Wirtschaftskunde-Unterricht der 1. bis 4. Klasse wird angestrebt:

Mit seinen grundlegenden Zielen soll der Unterricht in Geographie und Wirtschaftskunde folgenden Beitrag zu den einzelnen Bildungsbereichen leisten:

Sprache und Kommunikation

Mensch und Gesellschaft

Natur und Technik

Kreativität und Gestaltung

Gesundheit und Bewegung

 

Didaktische Grundsätze

In der 1. und 2. Klasse soll der Erwerb elementarer Begriffe, Fertigkeiten und Einsichten anhand einfacher Sachverhalte angestrebt werden. Dabei soll den Schülerinnen und Schülern die Vielfalt menschlichen Lebens und Wirtschaftens auf der Erde bewusst werden.
In der 3. und 4. Klasse soll die Erweiterung und Vertiefung dieser Qualifikationen erfolgen. Es sollen grundlegende Kenntnisse und Einsichten über Österreich und Europa sowie Verständnis für weltweite Fragestellungen angebahnt werden.
Geographische und wirtschaftskundliche Inhalte sollen im Unterricht nicht nebeneinanderstehend getrennt, sondern in starkem Maße miteinander verflochten in vergleichender Darstellung aller Kontinente unter möglichst häufiger Berücksichtigung Österreichs behandelt werden.
Der Lehrplan sieht für jede Klasse mehrere Themenkreise vor. Diese werden durch Zielstellungen näher bestimmt. Ihre Reihenfolge im Lehrplan ist für die Unterrichtsplanung eine Grundlage, deren Festlegung den Unterrichtenden obliegt. Erweiterungs- und Vertiefungsbereiche, die in den Schulen autonom festgelegt werden, haben den inhaltlichen Grundintentionen des Lehrplans zu entsprechen.

Lehrstoff

Der Lehrstoff der 1. bis 4. Klasse ist nach thematischen Schwerpunkten gegliedert. Für den Unterricht sind drei leitende Fragenbereiche immer wieder aufzugreifen:

  1. Österreich wird in jeder Schulstufe behandelt, wobei das Hauptgewicht in der 3. Klasse liegt. Neben einem soliden topographischen Orientierungswissen ist eine Übersicht der demographischen, sozialen, politischen und ökonomischen Strukturen und Entwicklungstendenzen zu vermitteln sowie die Stellung des Landes innerhalb Europas herauszuarbeiten.
  2. Die Leitfrage Zentrum/Peripherie stellt den Problemkreis regionaler Disparitäten in den Mittelpunkt, wobei von lebensweltlich unmittelbar erfahrbaren Beispielen auszugehen ist. Kleinregionale, nationale, europäische und globale Fragestellungen sind zu berücksichtigen.
  3. Das Wechselspiel zwischen Produzent und Konsument bzw. Angebot und Nachfrage sowie ihr Zusammenwirken für die Preisbildung, betriebswirtschaftliche und nationalökonomische Prozesse stehen im Zentrum des Fragenbereichs Markt und Wirtschaftskreisläufe.

Die regionale Zuordnung der einzelnen Beispiele sowie die zusammenfassende Darstellung auf jeder Schulstufe hat gemeinsam mit topographischen Übungen den Aufbau eines erdumspannenden topographischen Grundgerüsts und Rasters, die immer wieder herangezogen und weiter verdichtet werden müssen, zu sichern. Topographische Begriffe sollen aber nie um ihrer selbst willen gelernt, sondern immer mit bestimmten Sachverhalten bzw. Fragestellungen verbunden werden.

Der Unterricht in Geographie und Wirtschaftskunde muss sich regelmäßig der erreichbaren realen Umwelt zuwenden. In Lehrausgängen, Lehrwanderungen, Betriebserkundungen und ähnlichem sollen Lernende unmittelbar an der Wirklichkeit räumliche und wirtschaftliche Situationen erleben. Viele Lerninhalte sind einer unmittelbaren Begegnung jedoch nicht zugänglich. Deshalb ist Geographie und Wirtschaftskunde auf die Verwendung unterschiedlicher Medien angewiesen. Sie ermöglichen die wiederholte Auseinandersetzung mit Lerninhalten und dienen der Objektivierung und Zuordnung der Einzelbeobachtung. Die Verwendung elektronischer Medien, besonders aber der Einsatz des Computers soll zur arbeitsorientierten Unterrichtsgestaltung wesentliche Impulse beisteuern. Besonders zu fördern sind Unterrichtsprojekte, da sie eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit komplexen Fragestellungen ermöglichen. Offene Lernformen sollen eine Individualisierung und Autonomisierung des Lernprozesses gewährleisten.

Lehrstoff - Kernbereich

1. und 2. Klasse

Darstellung menschlichen Lebens und Wirtschaftens; Aufzeigen von Gleichartigkeiten und Unterschieden. Grundlegende Einsicht, dass Gesellschaft und Wirtschaft räumlich strukturiert sind.
Beispiele aus Österreich und Europa sind in der ersten und zweiten Klasse vertreten, jeder außereuropäische Erdteil wenigstens einmal in einer der beiden Klassen.

1. Klasse

Ein Blick auf die Erde

Erwerben grundlegender Informationen über die Erde mit Globus, Karten, Atlas und Bildern.

Wie Menschen in unterschiedlichen Gebieten der Erde leben und wirtschaften

Erkennen, dass sich Menschen in ihren Lebens- und Konsumgewohnheiten auf regionale und kulturelle Voraussetzungen einstellen und dass die Lebensweise einem Wandel unterliegt.
Erkennen, wie einfache Wirtschaftsformen von Natur- und Gesellschaftsbedingungen beeinflusst werden, und erfassen, dass der Mensch unterschiedliche, sich verändernde Techniken und Produktionsweisen anwendet.
Erkennen, wie Menschen mit Naturgefahren umgehen.

Wie Menschen Rohstoffe und Energie gewinnen und nutzen

Erkennen, wie Rohstoffe und Nutzenergie gewonnen und zum Verbraucher gebracht werden.
Einsehen, dass Rohstoffe und Energieträger auf der Erde ungleichmäßig verteilt und begrenzt vorhanden sind und dass ihre Nutzung oft die Umwelt belastet.

Ein erster Überblick

Regionale bzw. zonale Einordnung der Beispiele.
Erkennen der Grundstrukturen einfacher Wirtschaftsformen: von der agrarisch dominierten Selbstversorgerwirtschaft zu arbeitsteiligen Systemen.
Erfassen, dass es auf der Erde eine Regelhaftigkeit in der Anordnung klimatischer Erscheinungen gibt.

2. Klasse

Leben in Ballungsräumen

Das Leben in Ballungsräumen und peripheren Räumen vergleichen.
Erfassen von Merkmalen, Aufgaben und Umweltproblemen in Ballungsräumen. Erkennen der Vernetzung zwischen Kernstadt und Umland.
Erwerben grundlegender Informationen über Städte mit Hilfe kartographischer Darstellungen.

Gütererzeugung in gewerblichen und industriellen Betrieben

Erkennen, dass unterschiedliche Gründe die Standortwahl für einen Betrieb beeinflussen.
Erkennen, wie Güter in Betrieben verschiedener Art und Größe in unterschiedlichen Organisationsformen erzeugt werden, Erfassen der Auswirkungen von Betrieben und Produktionsprozessen auf die Umwelt.
Verstehen, dass verschiedene Tätigkeiten in der Wirtschaft unterschiedliche Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzen.

Der Dienstleistungsbereich

Erkennen der Vielfalt des Dienstleistungsbereichs sowie Verständnis für seine zunehmende Bedeutung im Wirtschaftsleben.
Erfassen der wirtschaftlichen Bedeutung von Freizeit und Tourismus.
Erwerben grundlegender Informationen und Fertigkeiten für die richtige Wahl von Verkehrsmitteln.
Erfassen, wie Regionen durch Verkehrseinrichtungen unterschiedlich erschlossen und belastet werden.

Die Erde als Lebens- und Wirtschaftsraum des Menschen – eine Zusammenschau

Zusammenfassende Einordnung der bisher behandelten Beispiele in Staaten, Landschaftsgürtel und Wirtschaftszonen der Erde.
Erkennen, dass die Verteilung der Bevölkerung auf der Erde ungleichmäßig ist und dass es Gunst- und Ungunsträume gibt.

3. und 4. Klasse:

Vertiefende Kenntnisse und Einsichten über menschliches Leben und Wirtschaften in Österreich, Europa und auf der Erde. Darstellung in Einzelbildern und Übersichten. Besondere Berücksichtigung von natürlicher und gestalteter Umwelt, Wirtschaft, Arbeitswelt und Berufsfindung. Anbahnen der Bereitschaft, sich aktuellen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen zuzuwenden. Weiterentwicklung topographischer Kenntnisse und methodischer Zugänge zu deren Erwerb. Behandlung eines Fallbeispiels in Projektform.

3. Klasse

Lebensraum Österreich

Anhand von unterschiedlichen Karten, Luft- und Satellitenbildern die Eigenart österreichischer Landschaften erfassen.
Einige Ursachen und Folgen der Bevölkerungsverteilung und -entwicklung erfassen.

Gestaltung des Lebensraums durch den Menschen

Die Lebenssituation in zentralen und peripheren Gebieten vergleichend erfassen.
Vergleichen unterschiedlicher Standortpotentiale zentraler und peripherer Gebiete an den Beispielen Verkehr, Infrastruktur, Versorgung und Umweltqualität.
Erfassen der Zusammenhänge von Wirtschaftsweise und Landnutzung.
Die Notwendigkeit der Raumordnung begreifen.

Einblicke in die Arbeitswelt

Die Bedeutung der Berufswahl für die Lebensgestaltung erkennen und erste Wege der Berufsfindung nutzen.
Den stetigen Wandel der Arbeitswelt erkennen und daraus die Einsicht in die Notwendigkeit der ständigen Weiterbildung gewinnen.
Erkennen, dass in der Wirtschaft unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen und dass die Methoden des Interessenausgleichs einem Wandel unterworfen sind.
Erfassen subjektiver und gesamtwirtschaftlicher Probleme der Arbeitslosigkeit in Österreich und Europa.

Wirtschaften im privaten Haushalt

Erkennen der Notwendigkeit, im privaten Haushalt Ausgaben den finanziellen Möglichkeiten entsprechend zu planen.
Erfassen, wie Verbraucher in der Marktwirtschaft ihre Interessen wahren können.

Volkswirtschaftliche Zusammenhänge: Österreich – Europa

Erfassen grundlegender Zusammenhänge der Marktprozesse.
Erkennen der Aussagekraft wichtiger Kennzahlen zum Vergleich von Volkswirtschaften.
An aktuellen Beispielen erkennen, wie die öffentliche Hand die Wirtschaft beeinflusst und durch strukturpolitische Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der EU Regionalförderung betreibt.
Erkennen der weltweiten Verflechtung der österreichischen Wirtschaft und ihrer Stellung in der EU.

4. Klasse

Gemeinsames Europa – vielfältiges Europa

Die Vielfalt Europas – Landschaft, Kultur, Bevölkerung – erfassen.
Informationen über ausgewählte Regionen und Staaten gezielt sammeln und strukturiert auswerten.
Erkennen, dass manche Gegenwarts- und Zukunftsprobleme nur überregional zu lösen sind, um damit die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit gesamteuropäischen Fragen zu fördern.

Zentren und Peripherien in der Weltwirtschaft

Die Bedeutung ausgewählter Staaten und Regionen für Weltpolitik und Weltwirtschaft erkennen.
Entwicklungsunterschiede zwischen Regionen wahrnehmen und Erklärungsansätze für deren Ursachen untersuchen.
Bereitschaft anbahnen, Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu bewerten und zu unterstützen.

Leben in einer vielfältigen Welt

Erfassen der kulturellen, sozialen und politischen Differenzierung in unterschiedlichen Regionen der Erde.
Bereitschaft anbahnen, sich mit „dem Anderen" vorurteilsfrei auseinanderzusetzen.

Leben in der „Einen Welt" – Globalisierung

Zunehmende Verflechtungen und Abhängigkeiten in der Weltwirtschaft und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft erkennen.
Die Bedeutung der „neuen Mächtigen" wie multinationaler Unternehmen, internationaler Organisationen und anderer „global players" erfassen.
Die Verantwortung des Menschen für die „Eine Erde" erkennen.
Die Bedeutung weiterer Wege der Berufsfindung, der Aus- und Weiterbildung unter dem Aspekt weltwirtschaftlicher und technologischer Veränderungen erfassen.

 

Lehrstoff - Erweiterungsstoff

Die Inhalte des Erweiterungsbereichs werden unter Berücksichtigung der Bildungs- und Lehraufgabe sowie der didaktischen Grundsätze an der Schule festgelegt (siehe Kapitel "Kern- und Erweiterungsbereich" der Allgemeinen Bestimmungen des Lehrplans).


Letztfassung der Lehrplanarbeitsgruppe – Zusammenfassung: Gerhard Atschko, 15. 5. 1998

Verfasser:
Gerhard Atschko, Franz Forster, Gottfried Moser, Peter Weichhart, Wilhelm Weinhäupl (Expertengruppe beim BMUkA)


Zusammengestellt von Gerhard Atschko Letzte Aktualisierung: 8.10.1998