Aus für Semperit-Werk in Traiskirchen

 

Continental will Traiskirchner Reifenwerk stilllegen - 1300 Jobs gefährdet.

Ein Großteil des niederösterreichischen Semperit-Reifenwerkes soll vom deutschen Mutterkonzern Continental stillgelegt werden. Dies meldeten am Mittwoch zwei deutsche Nachrichtenagenturen unter Berufung auf "gut informierte Branchenkreise".

Der Betriebsratschef in Traiskirchen, Alfred Artmäuer, bestätigte auf STANDARD-Anfrage: "Conti wird das Wort ,Schließung' vermeiden wollen und wahrscheinlich von einer ,Redimensionierung' reden. Da soll aber eine große Scheibe abmontiert werden." Er rechnet damit, dass sowohl die Fertigung der Lkw-Reifen wie auch der Pkw-Pneus geschlossen beziehungsweise nach Osteuropa verlegt werden. 1300 von 1500 Arbeitsplätze in Traiskirchen wären damit gestrichen. Lediglich die Mischerei, die Hartzeugproduktion und der Reifenvertrieb würden vorerst in Österreich bleiben. Bis 2003 soll aber in Tschechien ein neues Mischwerk stehen.

Der Traiskirchner Betriebsrat hatte Anfang September Verhandlungen mit einem der großen Reifenkonkurrenten über eine Übernahme des Standortes initiiert, diese von der Konzernspitze weitergeführten Gespräche haben aber kein Ergebnis gebracht.

Unterdessen bemüht sich die österreichische Conti-Tochter um frisches Geld, um den in Traiskirchen anfallenden Finanzbedarf für Abfertigungen und Sozialplan bedienen zu können. Das bisherige Reifentestgelände in Kottingbrunn soll um 90 Mio. S (6,54 Mio. EURO) an die niederösterreichische Betriebsansiedlungsgesellschaft Eco Plus verkauft werden. Dort wurden Verhandlungen bestätigt.

Der deutsche Konzern wollte die Berichte am Mittwoch nicht kommentieren. Conti-Chef Manfred Wennemer hatte im Oktober ein Kostensenkungsprogramm verkündet. Neben Traiskirchen stehen auch ein mexikanisches und das Werk im schwedischen Gislaved zur Disposition. Schweden und Österreich sind die teuersten Standorte. Conti hat in den vergangenen Jahren kostengünstigere Standorte in Osteuropa aufgebaut.

Quelle: 06.12.2001 Der Standard

 

Österreichs einzige Reifenproduktion wird Mitte 2002 dichtgemacht.

Ein Jahr später wird die Produktion von Vorprodukten aufgelassen. Das hat Semperit-Eigentümerin Continental beschlossen. Rund 1000 "Semperitler" verlieren 2002 ihren Job, weitere 300 ein Jahr darauf.

Der deutsche Reifenhersteller Continental, Mutterkonzern der Semperit Reifen GmbH, will in Österreich nur mehr mit einer Vertriebsmannschaft präsent bleiben. Die Reifenproduktion im niederösterreichischen Traiskirchen wird Mitte 2002 aufgelassen, die Herstellung von Reifen-Vorprodukten ein Jahr später. Insgesamt etwa 1300 "Semperitler" müssen sich um einen neuen Job umsehen.

Überkapazitäten

"Der Ausstieg ist beschlossene Sache", sagte der im Conti-Vorstand für das internationale Geschäft zuständige Hans-Joachim Nikolin in einer Pressekonferenz am Donnerstag. Die Entscheidung sei "nicht gegen Österreich gerichtet", sondern im Zusammenhang mit dem massiven Nachfragerückgang nach Lkw- und Pkw-Reifen infolge der Konjunkturabschwächung zu sehen. Auch in anderen Ländern, darunter in Deutschland, werde man Werke schließen.

"Wir müssen Überkapazitäten aus dem Markt nehmen", sagte Nikolin. Am strategischen Ziel, rund 50 Prozent der Reifen in Niedriglohnländern zu produzieren, halte man fest. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sei von der Entscheidung schriftlich informiert worden. Der Werksschließung muss formal noch der Conti-Aufsichtsrat zustimmen, der voraussichtlich am 19. Dezember zusammentritt.

Heftige Proteste gegen die beabsichtigte Schließung gab es aus Kreisen der Gewerkschaft und der SPÖ, die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Reifenproduktion in Traiskirchen verlangten. ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch verlangte "einen Krisengipfel mit dem Bundeskanzler."

Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein (VP) hat für Freitag die Semperit-Belegschaftsvertretung, die Geschäftsführung und Vertreter des Arbeitsmarktservices (AMS) zu Gesprächen ins Ministerium eingeladen. Ziel sei es, eine Lösung für die betroffenen Mitarbeiter zu finden. Bartenstein sprach von Qualifizierungsmaßnahmen, um die Betroffenen rasch am Arbeitsmarkt unterzubringen.

In Traiskirchen werden heuer noch rund 1,7 Mio. Pkw- und 126.000 Lkw-Reifen vom Band laufen. Von der Werksschließung sind 957 der derzeit rund 1450 Mitarbeiter betroffen - 422 im Bereich Pkw-Reifen, 535 Mitarbeiter im Lkw-Reifensegment. Die Produktion von Rohgummimischungen sowie Stahl- und Textilgewebeeinlagen mit derzeit 300 Beschäftigten soll in Traiskirchen vorerst weiterlaufen. 2003, wenn im tschechischen Otrokovice ein neuer Mischsaal zur Verfügung steht, soll diese Produktion dorthin verlagert werden. Auf eine längerfristige Beschäftigung können nur die rund 100 Personen rechnen, die mit dem Vertrieb der Conti-Produkte in Österreich betraut sind.

Investorensuche

Traiskirchens Bürgermeister Fritz Knotzer (SP) und Semperit-Betriebsratsobmann Alfred Artmäuer wollen alle Hebel in Bewegung setzen, um Bund, Länder und Privatinvestoren für eine mehrheitliche Übernahme der Semperit Reifen GmbH zu gewinnen. "Der Bezirk Baden hat jetzt schon die höchste Arbeitslosigkeit in Niederösterreich, mit der Werksschließung droht uns die höchste Arbeitslosigkeit Österreichs", sagte Knotzer. Neben den "Semperitlern" seien durch die Werksschließung auch rund 300 Zulieferunternehmen betroffen. "Die meisten machen rund die Hälfte ihres Geschäfts mit uns", sagte der Semperit-Betriebsratschef. "Ein endgültiges Aus für Semperit wäre katastrophal."

Artmäuer wies außerdem darauf hin, dass Conti das Semperit-Werk 1985 für 440 Mio. S von der Creditanstalt übernommen hat. Im Laufe der vergangenen 16 Jahre habe der Konzern rund sechs Mrd. S (436 Mio. EURO) aus dem Werk gezogen. In dem Betrag seien operative Gewinne ebenso enthalten wie Erlöse aus dem Verkauf ausländischer Semperit-Tochterfirmen und Steuergelder.

Bei einer Betriebsversammlung am Donnerstagnachmittag kündigte Artmäuer Maßnahmen an, "die weh tun". Das Kaufverhalten der Österreicher bei Autoreifen werde sich "gravierend ändern". Conti-Vorstand Nikolin hält Marktanteilsverluste in Österreich für möglich, glaubt aber nicht an eine gravierende Verschiebung.

Quelle: 07.12.2001 Der Standard

 

"Wir klammern uns an jeden Strohhalm"

Scharfe Töne, aber nur wenig Hoffnung auf zeitgerechte Hilfe : Bei einer Betriebs- versammlung im Traiskirchener Semperit-Reifenwerk, wo 1300 Jobs ab Mitte 2002 in Gefahr sind, zeigten sich Ohnmacht, Zorn und Zukunftsängste bei den älteren Kollegen.

Noch empfinde er "net wirklich" Zukunftsangst, meint der Betriebselektriker Wolf Falke (57). Noch habe er keinen blauen Brief erhalten, noch verlasse er werktags, "wie seit 43 Jahren", sein Traiskirchener Einfamilienhaus, um ins Reifenwerk arbeiten zu gehen: "Aber i bin mir sicher, wenn's dann soweit ist und i das letzte Mal durch des Tor aussegeh', kommt der totale Einbruch."

Das könnte schon kommenden Juni sein, wenn - laut Ankündigung des Conti-Konzerns - die Produktionsstätten im traditionsreichen Semperit-Werk endgültig stillgelegt werden. "Die Stimmung in der Belegschaft is jetzt scho beschissen gnua, von Motivation ka Spur mehr", berichtet der Arbeiter. Seine Fäuste versenkt er tief in die Hosentaschen. Wegen des Schneeregens und des kalten Windes, die mehreren Hundert Semperitlern samt Transparenten an der Pforte zu "ihrem" Werksgeländes das Protestieren schwer machen.

Doch nun geht ein Ruck durch den Mann und durch die gesamte frierende Truppe: "Da sind sie!" Tatsächlich, ein Taxi fährt vor, hält in Respektabstand zum Tor. Vier Männer klettern heraus, blicken ernst und schultern Laptoptaschen: die Gesandten des Conti-Aufsichtsrats, unter ihnen Vorstand Hans-Joachim Nikolin.

Die Conti-Männer kommen näher: Buhrufe und laute Pfiffe in der Menge. Sie passieren das Tor: "Wir wollen Arbeit! Wir wollen Arbeit!", skandieren die Demonstranten. Sie verschwinden im Verwaltungsgebäude: Der Slogan verstummt. "War's das?", fragt ein Arbeiter.

1300 Jobs wackeln

Es sei falsch, schon jetzt jede Hoffnung auf Abwendung der Kündigung von rund 1300 Kollegen aufzugeben, hatte davor Betriebsratsobmann Alfred Artmäuer vor an die Tausend Semperitlern betont. "Wir klammern uns an jeden Strohhalm, und sollte er auch unter Wasser schwimmen", rief er den Mitarbeitern während einer Betriebsversammlung in der Werksküche zu.

Konkret meinte er Hannes Androsch, der sich "einfach im Sofa zurücklehnt und zum Telefon greift", wie Artmäuer einen Besprechungsablauf schilderte. "Nur eine Viertelstunde später", so der Belegschaftsvertreter, habe der SPÖ-Politiker "den deutschen Wirtschaftsminister am Telefon gehabt". Hannes Androsch: einer, der zumindest versuche zu helfen, im Unterschied zu vielen anderen Politikern. Vielleicht, weil er - wie sich ein Kollege in der Werkshalle erinnert - "den Verkauf des Reifenwerks an Conti einst mitgemanagt hat".

An ein Abwinken Androschs, wie es am Dienstag kolportiert wurde, wollte auch Artmäuer nicht glauben. Zu aussichtslos wäre sonst die Lage, deren Dramatik sich vor allem rhetorisch niederschlug: "Conti hat uns verstoßen, die Mutter hat ihr Kind erwürgt und weggelegt, dabei sind wir ein Fleisch und Blut", formulierte der oberste Belegschaftsvertreter.

"Fass ohne Boden"

Überhaupt habe sich die Forderung der Konzernleitung, einen immer größeren Anteil der Reifenproduktion in Billiglohnländer wie Tschechien, Slowenien, Rumänien oder Russland auszulagern, als "Fass ohne Boden" entpuppt. Erst sei von 20, dann von 40 Prozent notwendigen Auslagerungen die Rede gewesen. Jetzt heiße es, das Traiskirchener Werk rentiere sich nicht, "dabei wurden wir doch ausgehungert", meinte Artmäuer.

Eine Kollegin aus der Pkw-Reifenabteilung sieht die Sache nüchtern: "A Arbeiterin in Rumänien verdient grad 1000 Schilling (72,67 ) im Monat. Was wollen's da machen?" Dann erzählt sie: 48 Jahre sei sie alt, "da bleibt mir wahrscheinlich nur stempeln gehen". Die von Arbeitsminister Martin Bartenstein (ÖVP) angesichts der Schließungspläne auf einen Bezieherkreis von 1000 Leuten ausgeweitete Arbeitsstiftung sei "doch eher was für die Jungen, die noch a Perspektive haben". Die Aufnahmebedingungen seien hart.

"Doppelt bestraft" komme sie sich vor, sagt die Frau aus dem südlichen Niederösterreich: "Z'erst, weil i die Arbeit verlieren werd', und dann, weil i seit der Reform erst mit 56 in Pension gehen kann." Auch sei ihr schleierhaft, wie sie "mit 14.000 Schilling (1017,42 ) Höchstarbeitslose" die Raten von ihrem Hausbau abzahlen werde können. Und sie ärgert sich: "Und dann wird behauptet, der Staat kümmert sich in der Stiftung vier Jahre lang um uns."

Quelle: 13.12.2001 Der Standard